Martin Doerry liest an der ASS: Gedenken an den Holocaust

Martin Doerry liest an der ASS: Gedenken an den Holocaust

Dass das Leid der Betroffenen und Verfolgten auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht beendet war, wurde an vielen Stellen der Lesung deutlich, die Martin Doerry am 29. Januar in der Aula der Albert-Schweitzer-Schule vor den Schülerinnen und Schülern des Abiturjahrgangs hielt.

Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur des SPIEGEL stellte dabei Passagen aus seinem zweiten Buch „Lillis Tochter – Das Leben meiner Mutter im Schatten der Vergangenheit“ vor. Es schildert die Lebensgeschichte von Ilse Jahn, die 1929 in Immenhausen als zweites Kind des Ärzteehepaars Ernst und Lilli Jahn geboren wurde und schon auf dem Gymnasium wegen ihrer jüdischen Mutter verspottet und schikaniert wurde.

Jugend ohne Kindheit

Auf Grundlage von Briefen zwischen der vierzehnjährigen Lilli und ihrer 1943 nach Breitenau verschleppten Mutter entsteht das Bild einer Heranwachsenden, die viel zu früh in eine sehr große Verantwortung gedrängt wurde. So musste sie sich nach der Scheidung der Eltern nicht nur um ihre kleinen Geschwister kümmern, sondern versuchte auch wie eine Erwachsene ihrer Mutter Trost zu spenden und vergeblich ihre Freilassung zu erreichen. Stattdessen wurde Lilli Jahn in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort im Juli 1944 ermordet.

Leben ohne Frieden

Als wären diese Geschehnisse nicht entsetzlich genug gewesen, verschwand der Antisemitismus mit dem Untergang des Dritten Reiches nicht einfach aus den Köpfen, wie sie selbst am Verhalten ihres Schwiegervaters habe erfahren müssen; dieser habe sie zunächst nicht nur abgelehnt, sondern seinen Sohn explizit davor gewarnt, „Mischlingskinder“ in die Welt zu setzen.

Gefördert worden sei dies noch durch einen Pakt des Schweigens, den die bundesrepublikanische Gesellschaft anstelle einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen geschlossen habe. Martin Doerry erzählte in diesem Zusammenhang, dass er selber erst mit 43 Jahren von den schrecklichen Details der Familiengeschichte erfahren habe; seine Mutter sei ihr Leben lang traumatisiert geblieben.

Gedenken ohne Alternative

Wie nahe auch den Schülerinnen und Schülern das Gesagte ging, zeigten die nachfolgenden Fragen, die sich auf die Hintergründe der Buchentstehung, auf den späten Zeitpunkt der Aufarbeitung und den Umgang mit dieser Epoche bezogen.

Carla Friedrich: Eine von vielen Fragen

So wurde abschließend deutlich, dass Erinnerung eine ganz zentrale Aufgabe der Gesellschaft ist und auch die nachfolgenden Generationen dieses Gedenken wachhalten müssen. Das gilt umso mehr in diesen Tagen, wo die Gefährdung der Demokratie und der Antisemitismus dringende Themen sind. Auch vor diesem Hintergrund bedanken wir uns ganz herzlich bei Dr. Martin Doerry, der uns als Schule mit seinem Vortrag eine solche Veranstaltung im Sinne der Erinnerungskultur ermöglicht hat.